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Im Gespräch mit Bildungsexperten aus Japan

©M. Tittel

Wie funktioniert das japanische Schulsystem, was macht es bei internationalen Bildungsvergleichen so erfolgreich? Wie sehen die Personalsituation, die Lehrerbildung und die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Japan aus? Diese und weitere Fragen waren am 7. Dezember 2022 Gegenstand eines Gesprächs von Vertretern des SLV mit Prof. Kenji Maehara und Keisuke Enomoto von der Gakugei Universität Tokyo. Die japanischen Bildungsforscher waren auf Einladung von Prof. Dr. Axel Gehrmann, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung (ZLSB) der TU Dresden, nach Sachsen und in die Radebeuler SLV-Landesgeschäftsstelle gekommen.

Schulsystem

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Zuständigkeit für den Bildungsbereich bei den Bundesländern liegt, ist sie in Japan in zentral geführter Hand des MEXT (Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie). Das Schulsystem verfügt über vier Stufen – die sechsjährige Grundschule und die dreijährige Mittelschule sind für alle Schüler verpflichtend. Anschließend können eine dreijährige Oberschule und eine vierjährige Hochschule besucht werden. Anders als in Deutschland gibt es während der Schulpflichtzeit kein Sitzenbleiben, d. h. jeder Schüler wird automatisch versetzt. Besonders an japanischen Grundschulen steht die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls im Vordergrund, insgesamt spielt die Vermittlung von Tugenden, wie z. B. Beharrlichkeit, Fleiß und Ausdauer, eine große Rolle im Schulalltag.

Arbeitsbedingungen

Kritisch zu sehen ist dabei die vergleichsweise hohe Klassenstärke von durchschnittlich 30 bis 40 Schülern. Japanische Lehrkräfte haben zudem mit 55 bis 60 Wochenstunden im Vergleich der OECD-Länder eine der höchsten Arbeitszeiten weltweit. Umso überraschender ist es, dass die Krankenstände beim Lehrpersonal extrem niedrig sind. Es arbeiten auch nur etwa ein Siebtel der Lehrer in Teilzeit, was mit den deutlich schwierigeren Rahmenbedingungen (befristete Verträge, weniger Gehalt, jährliche Schulwechsel) als bei einer Vollzeittätigkeit begründet wird. Obwohl Lehrkräftemangel in Japan, anders als in Deutschland, (noch) kein Thema ist, führen die eher unattraktiven Arbeitsbedingungen dazu, dass weniger Absolventen ein Lehramtsstudium aufnehmen.

Gewerkschaften haben in Japan nicht den gleichen Stellenwert wie in Deutschland. Nur etwa 25 bis 30 Prozent der japanischen Lehrkräfte sind Mitglied einer Gewerkschaft. Auch Streiks hat es in den letzten Jahren in diesem Bereich nicht gegeben.

Lehrerbildung

In Japan gibt es über 400 Lehrerausbildungsstätten. Für die Lehrtätigkeit auf jeder Schulstufe ist ein anderes Zertifikat erforderlich, das im Rahmen von Universitäts- und Hochschulstudiengängen erworben werden kann. An jede der lehrerbildenden Hochschulen sind Schulen angeschlossen, die auch der praktischen Ausbildung der Studierenden dienen. Im Gegensatz zu Deutschland beinhaltet die Lehrerausbildung nur drei Wochen Praktika in der Schule.
Hervorzuheben ist, dass alle Lehrkräfte jedes Jahr an Weiter- und Fortbildungen teilnehmen und dann ihren Unterricht den Kolleginnen und Kollegen bei Hospitationen vorstellen. In der sogenannten Lesson Study (Jugyou kenkyu) hält die Lehrkraft eine gemeinsam geplante Unterrichtsstunde, während andere Kollegen die Resonanz darauf in der Klasse beobachten. Anschließend wird die Stunde überarbeitet und die Wirksamkeit des Unterrichts verbessert.

Auch Second Career Teachers, gleichbedeutend mit Seiteneinsteigern, sind in Japan keine Seltenheit. Nur etwa die Hälfte der grundständig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer arbeitet nach dem Studium auch in diesem Beruf. Viele werden in einem anderen Berufsfeld tätig und kehren später über den Seiteneinstieg in den Schuldienst zurück.

Fazit

Insgesamt war es für beide Seiten ein informatives und konstruktives Treffen. Wie das deutsche hat auch das japanische Bildungssystem Stärken und Schwächen. Der internationale Austausch darüber und auch die vergleichende Bildungsforschung generell bieten eine große Chance, wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Bildungswesens im eigenen Land zu gewinnen.