Bereits Ende 2018 hat die Arbeitsgruppe „Bewährte Schulstrukturen beibehalten“ näher erläutert, warum sich der Sächsische Lehrerverband gegen die Einführung einer neuen Schulart ausspricht. Es ist mittlerweile festzustellen, dass der SLV mit seinen Bedenken bei Weitem nicht allein dasteht. In vielen Gesprächen, die SLV-Vertreter in den vergangenen Wochen geführt haben, sind ihre Argumente auf offene Ohren gestoßen: namentlich im SMK, bei vielen Elternräten ebenso wie bei Vertretern aus Wirtschaft und Handwerk.
Staatsminister Christian Piwarz sprach davon, dass das sächsische Schulsystem Kontinuität brauche und keine Experimente. Im Ministerium werden die Prioritäten vielmehr auf die Gewinnung von Lehrernachwuchs in allen Schularten gesetzt und darauf, die Oberschulen zu stärken.
Auch der Stadtelternrat Leipzig hat sich klar dafür ausgesprochen, das leistungsgerechte sächsische Schulsystem in seiner bestehenden Form zu erhalten. In anderen Kreiselternräten zeigte man sich verwundert über den Vorstoß des Landeselternrates, dessen Unterstützung des Volksantrages nun suggeriert, dass sich alle sächsischen Eltern dem Vorhaben bedenkenlos anschließen würden. Viele Eltern fühlten sich stattdessen über die Risiken, die eine Reform des Schulsystems mit sich bringt, nicht ausreichend informiert.
Einschneidende Reformen sollten nicht unbedacht angegangen werden
Dies mag auch daran liegen, dass das Vorhaben ansonsten in der Öffentlichkeit in Sachsen bislang wenig kontrovers diskutiert wird. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass vermeintlich kleine Änderungen wie durch das vorgestellte „optionale Modell“ dennoch eine Welle an komplexen Anschlussreformen und neuen Problemstellungen nach sich ziehen würden.
Die Modellversuche, mit denen die Befürworter ihre Argumentation schmücken, fanden wie üblich unter besten Rahmenbedingungen statt: So wurden z. B. nur vollausgebildete Lehrkräfte und keine Seiteneinsteiger eingesetzt, was bei so starker Binnendifferenzierung in den Klassen unbedingt notwendig ist. In der entsprechenden Studie wird zudem angemerkt, dass sich bei den untersuchten Modellschulen die soziale Herkunft der Schülerschaft vor allem aus gebildeten, gut situierten Elternhäusern rekrutiert – kein Wunder also, dass hier die Ergebnisse überzeugten.
Klar ist auch, dass es für Gemeinschaftsschulen keine eigenen Lehrpläne geben würde. Stattdessen müsste vor Ort jeweils ein eigenes, schulinternes Curriculum entworfen werden. Und wer spezielle pädagogische Konzepte in der Schule umsetzen möchte, kann dies seit der Änderung des Schulgesetzes bereits heute tun. Davon wird kein Kollegium in keiner Schulart abgehalten.
Weitere Verschärfung der angespannten Personalsituation würde angebahnt
Das Bündnis behauptete zuletzt, mit der Einführung einer weiteren Schulart würde sich an der Personalsituation an sächsischen Schulen insgesamt überhaupt nichts ändern. Stattdessen wird davon geschwärmt, dass Gemeinschaftsschulen einen flexiblen Einsatz von Lehrkräften aller Schularten ermöglichen würden – dabei wird gar nicht gefragt, welche Lehrer das denn angesichts der bereits bestehenden Herausforderungen leisten können und wollen. Man geht davon aus, dass all die Lehrkräfte, die an Gemeinschaftsschulen benötigt würden, ohne Vorbehalte, freiwillig und ohne Bedenken an der neuen Schulart arbeiten wollen. Hier muss klar gesagt werden: Falls dem nicht so sein sollte, müsste der dortige Personalbedarf natürlich über Abordnungen und Versetzungen gedeckt werden.
Ein erhöhter Personalbedarf wird durch das Bündnis verneint. Dabei ist es nur logisch: Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf gäbe zwei Möglichkeiten, Gemeinschaftsschulen zu gründen und beide Wege würden einen erhöhten Personalbedarf mit sich bringen.
- Bei einer Neugründung wird mehr Lehrpersonal als zuvor benötigt – wie immer, wenn eine zusätzliche Schule eröffnet wird. Dieses muss sich (um die Ansprüche der verschieden, dort möglich sein sollenden Abschlüsse zu erfüllen) aus Lehrkräften für alle Fächer und Schularten zusammensetzen. Die ideale Besetzung sieht wegen der extrem hohen Binnendifferenzierung sogar mehrere Lehrkräfte pro Klasse vor.
- Bei der Umwidmung einer bereits bestehenden Schule müssten künftig mehr Klassenstufen als bisher unterrichtet werden. Dafür braucht es auch mehr Lehrkräfte. In einer Grundschule, die zur Gemeinschaftsschule werden soll, werden zusätzlich Oberschul- und Gymnasiallehrer gebraucht. In einer Oberschule, die zur Gemeinschaftsschule werden soll, werden zusätzliche Gymnasial- und ggf. Grundschullehrer gebraucht. In allen Fällen bedarf es ggf. auch noch an Förderschullehrern.
Oberschulen müssen gestärkt werden
Speziell Wirtschaft und Handwerk pochen darauf, angesichts des aktuellen Fachkräftemangels den anhaltenden „Akademisierungswahn“ nicht noch zu bestärken. Stattdessen müssen die sächsischen Oberschulen gestärkt werden, und dort besonders die Berufsorientierung. In Bildungsvergleichen sind die sächsischen Erfolge vor allem dem guten Abschneiden der Oberschulen zu verdanken. Statt mit einer neuen Schulart eine Konkurrenz ins System zu bringen, sollten Reformen und Finanzmittel hier ansetzen. Ansonsten besteht das Risiko, dass wie in anderen Bundesländern dauerhafte Konflikte, Reformchaos und auch deutliche Abstürze in Leistungsvergleichen folgen.
Weiterführende Informationen:
Lerntempo wird langsamer (SZ-Beitrag vom 19.12.2018)
Warum sich der SLV gegen einschneidende Schulstrukturreformen positioniert
Für ein leistungsgerechtes Schulsystem – zehn Thesen zum Volksantrag „Gemeinschaftsschulen in Sachsen“ (PDF)
Artikel zur Bundesinitiative Differenziertes Schulwesen in GiB 11/12-2018 (PDF)