Eine enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen bringt Vorteile für beide Seiten. Sie stärkt den Lebensweltbezug und die Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler und hilft Unternehmen, ihren Fachkräftebedarf langfristig zu sichern. Doch wie lässt sich eine solche Kooperation sinnvoll gestalten? Über regelmäßige Partnerschaften? Einen wöchentlichen Praxistag? Oder den Einsatz von Fachkräften aus der Wirtschaft als Aushilfslehrkräfte? Es gibt zahlreiche Ideen, wie Schulen und Unternehmen abseits von Praktika zusammenarbeiten können. Doch eine praktische Umsetzung, die sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen als auch den Anforderungen des Schulalltags gerecht wird, ist oft schwierig. Organisatorische und rechtliche Hürden, fehlende pädagogische Begleitung sowie unterschiedliche Zielvorstellungen können dabei erhebliche Herausforderungen darstellen.
Firmen im Klassenzimmer: Informatikunterricht mit Experten aus der Wirtschaft
Ein bemerkenswertes Beispiel für erfolgreiche Schulkooperationen findet sich an der Oberschule Rauschwalde in Görlitz. Gemeinsam mit dem Unternehmen QESTIT erreichte die Schule 2024 den zweiten Platz beim bundesweiten SCHULEWIRTSCHAFT Preis „Engagement sichtbar machen“ in der Kategorie „Starter-Kooperationen Schule – Unternehmen“. Ausgezeichnet wurde das Projekt „Kooperative Digitale Transformation: Eine Lernreise in die Welt der künstlichen Intelligenz“.
Der Preis, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird, würdigt jährlich innovative Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen. Die Jury lobte insbesondere den zukunftsweisenden Ansatz zur Vermittlung digitaler Kompetenzen. Mitarbeitende von QESTIT unterstützten den Informatikunterricht als „Aushilfslehrkräfte“ und ermöglichten den Schülerinnen und Schülern, praxisorientierte Projekte umzusetzen.
Die Preisverleihung fand am 5. November 2024 im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Berlin statt. „Die Zusammenarbeit hat unseren Informatikunterricht nicht nur bereichert, sondern uns ermöglicht, den Schülern durch praxisnahe Unterstützung kontinuierlichen Unterricht zu bieten“, resümiert Informatiklehrer Robert Koegler.
Zur Person
Robert Koegler ist seit 2002 als Mediendozent und Musiklehrer tätig, betreibt die Webseite mediendozent.de und arbeitet heute als Informatiklehrer sowie am Medienpädagogischen Zentrum Löbau. Darüber hinaus bietet er Fortbildungen für Lehrkräfte an, unter anderem zum Thema künstliche Intelligenz.
Herr Koegler, was hat Sie zu diesem Projekt motiviert?
Die Motivation entstand eigentlich aus einer konkreten Herausforderung: Wir hatten einen Mangel an Informatiklehrkräften für zwölf Wochenstunden. Gleichzeitig erfuhren wir von freien Kapazitäten bei der Firma QESTIT hier in Görlitz. Aus dieser Situation heraus entwickelten wir die Idee einer Win-Win-Kooperation: Die IT-Experten von QESTIT unterstützen unseren Unterricht und unsere Schülerinnen und Schüler profitieren von deren Praxiserfahrung. Das Thema KI wählte ich, weil es hochaktuell ist und unsere Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet sein müssen.
Wie haben Sie die Projektziele definiert und wie lief es in der Praxis?
Unser Hauptziel war es, den Informatikunterricht nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern durch die Expertise der QESTIT-Mitarbeiter zu bereichern. In der Praxis teilten wir die Klassen auf: Eine Gruppe arbeitete am Lehrplan mit mir als Fachlehrer und die andere an praxisnahen Projekten mit den IT-Experten. Die Aufteilung ermöglichte es uns, sowohl die Lehrplaninhalte abzudecken als auch spannende Zusatzprojekte zu realisieren.
Welche Herausforderungen zeigten sich?
Die größte Herausforderung war anfangs die Organisation: Wie integrieren wir externe Fachkräfte in den Schulalltag? Wie stimmen wir Lehrplaninhalte und Praxisprojekte aufeinander ab? Leider ist auch die Disziplin einzelner Schülerinnen und Schüler immer wieder eine Herausforderung, gerade für Externe.
Was hat die Schülerinnen und Schüler motiviert, an diesem Projekt teilzunehmen?
Von Anfang an waren sie begeistert von der Möglichkeit, mit „echten“ IT-Profis zusammenzuarbeiten. Ein besonderer Motivationsschub war der Erfolg beim Bundeswettbewerb „My Digital World“, wo der Videobeitrag „Sicherheit im Netz“ eines vierköpfigen Schüler-Teams ausgezeichnet wurde. Das hat gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Diese Motivation überträgt sich aktuell auch auf andere Klassen. Ein Pokal im Fachraum ist dafür tatsächlich hilfreich.
Haben Sie bereits eine Strategie entwickelt, um das Gelernte nachhaltig in Ihre Schule zu integrieren?
Das hängt leider von der Finanzierung ab. Für das kommende Halbjahr planen wir erneut die Zusammenarbeit. Diesmal werden wir aber mehr auf die Skills der Mitarbeitenden eingehen und das Thema Softwaretest mit einbeziehen. Geplant sind Coding-Experimente mit dem Roboter NAO. Roboter sind dank KI das nächste große Thema.
Welchen Rat würden Sie anderen Schulen geben, die Ähnliches planen?
Mein wichtigster Rat wäre: Schauen Sie sich in Ihrer Region um! Oft gibt es Unternehmen, die bereit sind, Schulen zu unterstützen. Wichtig ist auch eine klare Kommunikation der gegenseitigen Erwartungen und eine flexible Herangehensweise.
Welche Besonderheiten gibt es in Ihrem Fach?
Die Besonderheit in der Informatik ist, dass sich das Fach ständig weiterentwickelt. Die externen Experten bringen nicht nur technisches Know-how mit, sondern auch wertvolle Einblicke in die Arbeitswelt der IT-Branche.
Inwieweit kann künstliche Intelligenz Schulen zukünftig unterstützen?
Die Arbeitswelt von morgen wird massiv von KI geprägt sein – das sehen wir bereits heute in fast allen Branchen. Unsere Aufgabe als Schule ist es, die Jugendlichen darauf vorzubereiten. Das bedeutet zum einen, ihnen ein grundlegendes Verständnis von KI-Technologien zu vermitteln. Noch wichtiger ist aber die Entwicklung von Kompetenzen, die auch in einer KI-geprägten Arbeitswelt relevant bleiben: Kreativität, kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeit und soziale Intelligenz.
Gerade durch unsere Kooperation mit QESTIT sehen die Schülerinnen und Schüler, wie IT-Profis bereits heute mit KI-Tools arbeiten – nicht als Ersatz für menschliche Fähigkeiten, sondern als Ergänzung. In der Berufsorientierung müssen wir den Jugendlichen vermitteln, dass sie nicht gegen KI konkurrieren, sondern lernen sollten, mit ihr zu arbeiten.
Was bedeutet das für Lehrkräfte?
Als nebenberuflicher Mediendozent schule ich regelmäßig Lehrkräfte und sehe die Herausforderungen im Umgang mit KI. Eine große Herausforderung ist definitiv die Bewertung von Schülerarbeiten. Wir müssen hier komplett umdenken: Weg von der reinen Produktbewertung, hin zu einer prozessorientierten Zensurengebung. Es kann nicht sein, dass Lehrkräfte zu Hause stundenlang damit beschäftigt sind herauszufinden, ob Arbeiten KI-generiert sind oder nicht. Stattdessen sollten wir KI konstruktiv in den Unterricht einbinden und Bewertungskriterien entwickeln, die den sinnvollen Einsatz von KI berücksichtigen. In meinen Fortbildungen zum Thema „Game Changer KI“ zeige ich Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel, wie man Aufgabenstellungen so gestaltet, dass sie trotz KI-Nutzung die eigenständige Leistung der Schülerinnen und Schüler erkennbar machen.
Der Beitrag erschien zuerst in der NSLZ 1/2025. Das Interview führten Madeleine Helbig, Fachverbandsvorsitzende Oberschulen, und Clemens Kuche, stv. Vorsitzender des Kreisverbandes Niesky-Görlitz.