Bildungspolitik und der Lehrerberuf in Sachsen standen im Fokus einer Veranstaltung des Sächsischen Lehrerverbandes am 26. August 2019 in Dresden. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurden unterschiedliche Positionen herausgestellt und mit Argumenten hinterlegt. Teilnehmer an dieser Gesprächsrunde waren Kultusminister Christian Piwarz sowie bildungspolitische Sprecher bzw. Bildungsexperten der aussichtsreichsten sächsischen Parteien: Patrick Schreiber (CDU), Karin Wilke (AfD), Antje Feiks (DIE LINKE), Dr. Tobias Peter (Bündnis 90/Die Grünen), Sabine Friedel (SPD), Norbert Bläsner (FDP) und Ralf Zeidler (Freie Wähler). Ine Dippmann moderierte die Diskussionsrunde mit brillanter Sachkenntnis und sehr souverän.
Über die inhaltlichen Schwerpunkte hatte das Publikum zu Beginn der Veranstaltung abgestimmt. Der Einstieg erfolgte deshalb mit der Rubrik „Entlastungen/Arbeitszeit von Lehrkräften“. Zur Freude der ca. 90 anwesenden Lehrerinnen und Lehrer gab es gleich zu Beginn ein einstimmiges Votum der Bildungspolitiker aller Parteien zur Gewährung einer Klassenleiterstunde, d. h. einer Anrechnungsstunde zum Ausgleich der arbeitsintensiven Klassenleitertätigkeit. Zur Forderung nach Absenkung des Regelstundenmaßes gingen hingegen die Vorstellungen der Parteienvertreter auseinander. Die Realisierbarkeit einer solchen Maßnahme wird insbesondere vom künftigen Lehrernachwuchs in bedarfsgerechter Zahl abhängig sein. Norbert Bläsner (FDP) schlug ein Budget zur Entlohnung von zusätzlichen Aufgaben an den Schulen vor und könnte sich verringerte Klassenstärken in besonderen Fällen, wie z. B. einer hohen Zahl von Integrationsschülern, vorstellen. Dr. Tobias Peter (Bündnis 90/Die Grünen) möchte Entlastungen für Lehrkräfte von der Sozialstruktur der Bildungseinrichtungen abhängig machen. Sabine Friedel (SPD) teilte ihre Zukunftsvision, dass Lehrkräfte künftig nur 20 Stunden im Unterricht, aber 40 Stunden in der Schule arbeiten, einschließlich der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts im eigenen Arbeitszimmer in der Bildungsstätte.
Der Erhalt von Förderschulen, auch bei zunehmender Inklusion, hat für die Lehrerinnen und Lehrer eine hohe Priorität. Alle Bildungspolitiker, außer den Vertretern von DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen, votierten für die Beibehaltung der Förderschulen in ihrer Vielfalt, d. h. in allen Förderschwerpunkten. Antje Feiks (DIE LINKE) verwies darauf, dass seit 2009 durch die UN-Behindertenrechtskonvention inklusive Bildung vorgeschrieben sei. Auf Unverständnis traf das Infragestellen der Förderschulen durch zwei Parteien, u. a. bei CDU-Bildungspolitiker Patrick Schreiber: „Andere Bundesländer haben das mittlerweile als großen Fehler erkannt“. Er verwies zudem auf die UN-Behindertenrechtskonvention, die beim Zugang von behinderten Menschen zu allgemeiner Bildung nicht zwischen Förderschulen und Regelschulen unterscheidet. AfD-Bildungspolitikerin Karin Wilke möchte Inklusion und Integration generell auf den Prüfstand stellen, zur Entlastung der Lehrkräfte und um Förderschullehrkräfte nicht weiterhin in Regelschulen einzusetzen.
Der SLV-Landesvorsitzende Jens Weichelt verwies auf zahllose Erfolgsbiografien von ehemaligen Förderschülern und mahnte eine bedarfsgerechte Lehrerausbildung im Lehramt Sonderpädagogik an, weil seit Jahren an Förderschulen das größte Bewerberdefizit besteht. Der Sächsische Lehrerverband begrüßt deshalb ausdrücklich den im CDU-Regierungsprogramm vorgesehenen „Ausbau des Universitätsstandortes Chemnitz als Ort der Berufsschul- und Förderschulausbildung“.
Staatsminister Christian Piwarz begründete, warum „Landeskinderregelungen“ bei der Vergabe von Studienplätzen rechtlich schwierig sind. Sollte sich der sogenannte „Landlehrerbonus“, den das Land Nordrhein-Westfalen eingeführt hat, als „gerichtsfest“ erweisen, wäre Sachsen das erste Bundesland, das diesen auch umsetzt.
Die Stärkung der Lehrerausbildung ist das Anliegen aller Parteien. CDU, SPD, Die Grünen, FDP und Freie Wähler bekennen sich auch ausdrücklich zur Verstetigung bzw. der Erweiterung der Lehrerausbildung an der TU Chemnitz. Staatsminister Christian Piwarz unterstützt außerdem Bestrebungen zur weiteren Regionalisierung der universitären Lehrerausbildung, wie z. B. der Etablierung einer Außenstelle der Universität Leipzig in Zwickau. Gleichzeitig möchte er dringend von einer Lehrerausbildung an Pädagogischen Hochschulen abraten, wie das z. B. die AfD favorisiert, weil eine Anerkennung solcher Abschlüsse fraglich sei und dann Studierende ausbleiben würden.
Für die Beibehaltung schulartspezifischer Studiengänge votierten die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion von CDU, AfD, FDP und Freien Wählern. Die Vertreter von DIE LINKE, der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen plädierten für eine Ausbildung nach Schulstufen. Vor dem Hintergrund der Fehlentwicklungen infolge der polyvalenten Bachelorausbildung in den Immatrikulationsjahren 2005 bis 2011 warnte der SLV-Landesvorsitzende eindringlich vor weiteren Experimenten, die zu Lasten der Lehrerversorgung in den Oberschulen und damit der dort tätigen Kolleginnen und Kollegen gehen.
Bei der Frage der Verbeamtung von Lehrkräften lehnten die Parteienvertreter eine Reduzierung auf eine Ja-Nein-Abstimmung ab. Ihre Beweggründe zur Befürwortung oder Ablehnung dieser Maßnahme haben sie im Jahr 2018 dargelegt. Aus dem Verbeamtungsgegner Patrick Schreiber (CDU) wurde bereits 2011 ein Befürworter, weil er die Lehrerversorgung in Gefahr sah. Staatsminister Christian Piwarz machte die gleiche Erfahrung 2018. Für eine (Wieder)Anhebung der Altersgrenze zur Verbeamtung auf 47 Jahre plädierten nur die AfD und Bündnis 90/Die Grünen. Sabine Friedel (SPD) möchte Überzeugungsarbeit bei anderen Bundesländern leisten, dass ab einem bestimmten Jahr kein Lehrer mehr verbeamtet wird. [Anmerkung des SLV: Das wird ihr in den Bundesländern, die Verbeamtung als eine besondere Wertschätzung ihrer Lehrerinnen und Lehrer verstehen, nicht gelingen.]
Ralf Zeidler (Freie Wähler) unterstütze ausdrücklich die SLV-Forderung nach Übernahme der Arbeitnehmerbeiträge zur Betriebsrente VBL durch den Freistaat Sachsen als wichtige Maßnahme zugunsten der tarifbeschäftigten Lehrkräfte.
CDU, AfD, SPD, FDP und Freie Wähler wollen das sächsische Schulsystem in der derzeitigen Struktur der Schularten beibehalten, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen nicht. Eine Überraschung war das Votum von Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD, pro sächsisches Schulsystem. Sie erklärte dazu, dass sie in der Zulassung von Gemeinschaftsschulen lediglich eine „Ergänzung“ des bestehenden Systems sieht. Staatsminister Christian Piwarz sieht vor dem Hintergrund des erfolgreichen Schulsystems keine Notwendigkeit für Strukturreformen.
Für den Bereich der frühkindlichen Bildung stellte der Staatsminister nach der Verbesserung des Betreuungsschlüssels und der Gewährung von Vor- und Nachbereitungszeit in der zurückliegenden Legislaturperiode weitere qualitätssteigernde Maßnahmen in Aussicht. Er warnte aber zugleich vor solchen Maßnahmen, die aufgrund des begrenzten Fachkräftenachwuchses zu Personalmangel führen könnten. Seit 2014 mussten bereits 2.800 Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden, zusätzlich zu den Ersatzeinstellungen für Altersabgänge. Es muss also geprüft werden, ob für weitere Verbesserungen auch genügend Fachkräfte regeneriert werden können. Patrick Schreiber (CDU) plädierte dafür, den Betreuungsschlüssel ehrlicher zu machen. Er möchte die Betreuungssituation für alle Kinder weiter verbessern, indem zum Beispiel Abwesenheitszeiten durch Urlaub, Krankheit und Fortbildung bei der Berechnung des Betreuungsschlüssels berücksichtigt werden. Ralf Zeidler (Freie Wähler) setzte sich besonders für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Horten ein.
Die AfD möchte mit ihrem Modell des Landeserziehungsgeldes bis zum dritten Lebensjahr erreichen, dass mehr häusliche Kinderbetreuung stattfindet, was in der Folge durch weniger zu betreuende Kinder auch zu einer Verbesserung des Betreuungsschlüssels führen würde. Dem widersprachen u. a. Norbert Bläsner (FDP) und Patrick Schreiber (CDU) energisch, weil sie einerseits einen starken Drang junger Eltern nach Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit feststellen, andererseits ein Fachkräftemangel in anderen Wirtschaftsbereichen zu befürchten wäre.
Bereits bei der →Beantwortung der Wahlprüfsteine des SLV hatten die aussichtsreichsten sächsischen Parteien ihre Positionen zu den einzelnen Themen deutlich gemacht.
Viele der teilnehmenden Lehrer dankten am Ende für eine gelungene, aufschlussreiche Veranstaltung und lobten die offene, konstruktive Gesprächsatmosphäre. Unabhängig vom Ausgang wird der Sächsische Lehrerverband auch nach der Landtagswahl den politischen Prozess weiter begleiten.