Seit Ende September sammelt ein Bündnis aus mehreren Parteien, Gewerkschaften, Landeselternrat und Landesschülerrat Unterschriften, um Gemeinschaftsschulen als zusätzliche Schulart ins Sächsische Schulgesetz aufzunehmen. Seit dem Volksentscheid in Hamburg 2010 wissen auch die Initiatoren, dass das achtjährige Gymnasium besser nicht angetastet werden sollte. Die geplante Gemeinschaftsschule in Sachsen soll die Klassenstufen 1 bis 12 umfassen und Schüler zu Hauptschulabschlüssen, Realschulabschluss oder Abitur führen. Abweichend wären auch Modelle Klassen 1 bis 10 oder 5 bis 10 oder 5 bis 12 möglich.
Nach diesem Gesetzentwurf obliegt bis einschließlich Klasse 8 den Lehrern die Aufgabe, mittels Binnendifferenzierung (d. h. mindestens dreifacher Unterrichtsvorbereitungsaufwand, zusätzlich zur Inklusion) die Schüler entsprechend ihren Leistungsmöglichkeiten, Begabungen und Bildungsabsichten zu unterrichten. Erst ab Klassenstufe 9 kann je nach Leistungsstand und angestrebtem Abschluss eine abschlussbezogene Klassenbildung erfolgen.
Seit Jahrzehnten gibt es in vielen Bundesländern dazu politische Auseinandersetzungen und Strukturreformen mit ernüchternden Ergebnissen. Nun erreicht die Schulstrukturdebatte pünktlich vor den Landtagswahlen 2019 ausgerechnet Sachsen, dessen nachweislich erfolgreiches Schulsystem sich andere Bundesländer mittlerweile zum Vorbild genommen haben. Das Thema wird auch in den Lehrerzimmern kontrovers diskutiert.
Da der Volksantrag mehrere Vorstellungen von Gemeinschaftsschule bedient, ist eine sorgfältige Analyse angebracht.
- Das Bündnis suggeriert ein „längeres gemeinsames Lernen“ aller Kinder. Man muss aber davon ausgehen, dass bei entsprechender Bildungsempfehlung die Eltern weiterhin das Gymnasium ab Klasse 5 favorisieren werden. Derzeit liegt die Übergangsquote bei 44 Prozent. Hier laufen alle Argumentationen der Befürworter ins Leere.
- Wenn weiterhin ca. 40 Prozent der Schüler ab Klasse 5 das Gymnasium besuchen, stellt sich die Frage, ob eine Gemeinschaftsschule etwas bietet, was eine Oberschule nicht leisten kann oder könnte. Etwa 17 Prozent der Abiturienten erwerben bereits jetzt die allgemeine Hochschulreife nach einem Realschulabschluss der Oberschule am beruflichen Gymnasium.
- Der Volksantrag sieht bei Mindestschülerzahlen und -zügigkeiten die gleichen Anforderungen wie bei Oberschulen vor. Somit ist davon auszugehen, dass nur große Schulgebäude für staatliche Gemeinschaftsschulen in Frage kommen. Freie Träger sind an diese Vorgaben nicht gebunden. Der SLV befürchtet daher eine erneute Bedrohung von etablierten Schulstandorten.
Der Sächsische Lehrerverband sieht im anhaltenden Lehrermangel die größte Herausforderung. Die Probleme der Lehrernachwuchsgewinnung werden nicht durch Schulstrukturdebatten gelöst. Deshalb wird der SLV weiterhin vernünftige Argumente in den politischen Meinungsbildungsprozess einbringen.