In Sachsen haben Ganztagsangebote an Schulen einen festen Platz in der Bildungslandschaft eingenommen. Über 90 Prozent der allgemeinbildenden Schulen im Freistaat sehen sie als unverzichtbaren Bestandteil der Schulkultur und Schulqualität an. Doch hinter dieser positiven Entwicklung verbirgt sich oft eine Realität, die den Fokus der Lehrerinnen und Lehrer vom eigentlichen Kern ihrer Arbeit, dem Unterrichten, ablenkt. Madeleine Helbig ist Ganztagskoordinatorin an einer Oberschule in Leipzig und stellt im Folgenden exemplarisch dar, wie ihre Arbeit aussieht und welche dringenden Veränderungen notwendig sind.
Vorbereitung ist alles – aber zu welchem Preis?
Die Vorbereitung der Ganztagsangebote beginnt bereits vor dem Schuljahresstart. In der sogenannten Vorbereitungswoche erstelle ich eine Übersicht über alle Ganztagsangebote des Schuljahres und pflege diese Übersicht in die Datenbank des Schulträgers ein. In der ersten Schulwoche informiere ich das Kollegium über die Angebote und werbe für die Tätigkeit der Angebotleiterinnen und -leiter. Ich nutze diese Woche nicht, um Stoffverteilungspläne zu erstellen und Klassenleitertätigkeit auszuführen oder einfach kollegiale Kontakte zu pflegen.
Elternabende und mehr – eine Mammutaufgabe
In der zweiten Schulwoche stehen die Vorbereitungen für die Elternabende an. Währenddessen führe ich permanent schriftliche Korrespondenzen mit Lehrerinnen und Lehrern, die Fragen haben oder selbst Angebote durchführen möchten. Zusätzlich suche ich externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und koordiniere schulische und außerschulische Termine. All das geschieht nebenbei, während ich auch meinen Fachunterricht vorbereite und versuche, meinen Aufgaben als Klassenlehrerin gerecht zu werden.
Die Herausforderungen der Einschreibungen
In der dritten Schulwoche beginnen die Einschreibungen der Schülerinnen und Schüler über die Schulhomepage. Hierbei erhält jeder Schüler individuelle Rückmeldungen. Das Erstellen der Verträge und die Koordination der Unterlagen ist zeitaufwendig und bürokratisch. Und obwohl Digitalisierung im Schulalltag propagiert wird, müssen viele Schritte manuell erledigt werden. Dies verlangsamt den Prozess unnötig und frustriert alle Beteiligten.
Ganztagsangebote: Kosten und Verwaltung
Verwaltung, Finanzierung und Organisation der Ganztagskoordination erstrecken sich über das gesamte Schuljahr. Dies beinhaltet die ständige Arbeit am Konzept, die Probleme bei der Abrechnung von fehlerhaften Rechnungen und die Tatsache, dass Ganztagsangebote nicht im Voraus bezahlt werden können. Dies stellt die durchführenden Lehrkräfte vor Herausforderungen, da sie teilweise privat für Sachkosten in Vorleistung treten müssen und dabei mit komplexen Abrechnungsprozessen konfrontiert sind.
Die dringende Notwendigkeit von Veränderungen
Ich habe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Lehramt für Gymnasium in den Fächern Geschichte und Philosophie studiert. Während meines Studiums habe ich keine spezielle Ausbildung für die Koordination von Ganztagsangeboten erhalten. Dennoch nehmen diese Tätigkeiten mindestens 50 Prozent meiner Arbeitszeit ein, obwohl sie nur mit zwei Anrechnungsstunden vergütet werden. Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, fordert zu Recht, dass Lehrerinnen und Lehrer sich auf ihre Kernaufgaben, nämlich den Unterricht, konzentrieren sollten. Der Ganztag ist zweifellos eine positive Entwicklung der Schulkultur, aber er darf nicht auf Kosten der Lehrerinnen und Lehrer organisiert werden.
Forderungen und Lösungsansätze
Um diesem Problem angemessen zu begegnen, müssen dringend Veränderungen herbeigeführt werden. Erstens sollten mehr Stunden für Lehrerinnen und Lehrer oder Lehrkräfteteams bereitgestellt werden, idealerweise in Form eigener Stellen, um die Unterrichtsqualität zu erhalten. Zweitens sollten die Verfahren und Abläufe überarbeitet und digitalisiert werden, um die Effizienz zu steigern. Dies würde kreativen und engagierten Lehrkräften die Durchführung von Bildungsangeboten erleichtern und die administrativen Hürden minimieren.
Insgesamt ist es an der Zeit, die Koordination von Ganztagsangeboten in Sachsen zu überdenken und die Belastung der Lehrerinnen und Lehrer zu reduzieren. Nur so können wir sicherstellen, dass der Ganztag weiterhin ein Qualitätsmerkmal der Schulkultur bleibt, ohne diejenigen zu überlasten, die sich um die Bildung unserer Schülerinnen und Schüler kümmern.
Dies ist eine gekürzte Version des Erfahrungsberichtes, der zuerst in der NSLZ 5/2023 erschienen ist.