Kurz angerissen wurde zu Beginn des Gesprächs das Thema Gemeinschaftsschulen und Oberschulen+. Die Bündnisgrünen sind große Befürworter dieser seit 2020 im Sächsischen Schulgesetz verankerten alternativen Schularten und sehen großen Bedarf vor allem in ländlichen Regionen, um Schulstandorte zu sichern. Der Sächsische Lehrerverband hat sich stets zum leistungsgerechten Schulsystem in seiner bestehenden Form positioniert und sich auch in der Debatte um die Einführung von Gemeinschaftsschulen und Oberschulen+ dagegen ausgesprochen. Aus seiner Sicht gefährden Gemeinschaftsschulen Schulstandorte, insbesondere im ländlichen Raum, denn sie konkurrieren dort mit bestehenden Standorten um Schüler und Lehrkräfte, insbesondere weil eine Gemeinschaftsschule eine gewisse Größe braucht, bevor sich ihr Aufbau lohnt. In den Medien wird die sächsische Gemeinschaftsschule häufig als bessere Alternative dargestellt, dabei ist die Nachfrage danach längst nicht so hoch wie behauptet. Lediglich in den Ballungszentren mit entsprechenden Schülerzahlen steht die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen derzeitig überhaupt zur Debatte.
Lehrkräftebedarf
Im anhaltenden Lehrermangel und der Gewinnung geeigneten Berufsnachwuchses besteht weiterhin die größte Herausforderung für Sachsen. Um dem aktuellen Bedarf an den Schulen gerecht werden zu können, müssten ad hoc 3.500 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt werden. Schon seit Langem fordert der SLV vom SMK eine fundierte und realistische Lehrerbedarfsprognose, auf deren Grundlage eine wirksame Personalstrategie entwickelt werden kann. Mit eigenen Berechnungen und Strategien zur Bewältigung der Personalmisere macht der SLV seit Jahren auf die sich zuspitzende Situation aufmerksam. Schon jetzt wird der Unterricht im Grundbereich in keiner Schulart zu einhundert Prozent ausgereicht, ganz zu schweigen vom Ergänzungsbereich. Weitere Lehrkräfte fehlen für die Bewältigung aktueller Herausforderungen, wie die schulische Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher, das Aufholen pandemiebedingter Wissensdefizite und die Inklusion. Neben den Ersatzeinstellungen für ausscheidende und langzeiterkrankte Lehrkräfte rechnet der SLV mit einem deutlichen Mehrbedarf aufgrund des Anstiegs der Schülerzahlen um mehr als zehn Prozent bis 2028 infolge der Zuwanderung und der steigenden Geburten.
Lehrkräfteausbildung
Langfristige Lösungen sieht der SLV vor allem auch in einer weiteren Regionalisierung der Lehrkräfteausbildung und einer Reform des Lehramtsstudiums. Die von Frau Melcher angeführte schulstufenbezogene Ausbildung (Einführung der Lehrämter Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II), die ab dem Wintersemester 2024/2025 als Modellstudiengang an der Universität Leipzig beginnen soll, sieht der SLV kritisch, da nicht gewährleistet ist, dass dadurch mehr Absolventen für die Bedarfsschularten gewonnen werden können. Statt Experimente bei den schulartbezogenen Lehrämtern fordert der SLV mehr verpflichtende Praxisanteile (z. B. Praxissemester) im Studium, die auch schulartfremd und sachsenweit zu absolvieren sind. Studieninhalte sollten nicht hochkomplex und wissenschaftlich sein, sondern müssen sich viel mehr an den Bedürfnissen der angehenden Lehrkräfte und der tatsächlichen Unterrichtspraxis orientieren. Um den gesellschaftlichen Veränderungen und den schulischen Herausforderungen auch in Zukunft gerecht werden zu können, muss der Berufsnachwuchs auf aktuelle Themen vorbereitet sein, wie z. B. den Umgang mit heterogenen Lerngruppen, die Integration von Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache, Medienbildung und Digitalisierung, Inklusion und Sonderpädagogik, politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Alle diese Schwerpunkte sind fest in den drei Phasen der Lehrkräfteausbildung zu verankern.
Ein hoher Anteil der Lehramtsstudienplätze in Sachsen wird mit Bewerbern aus anderen Bundesländern belegt, die nach Beendigung des Studiums wieder zurück in ihre Heimat gehen. Deshalb muss mehr sächsischen Abiturienten ein Lehramtsstudium im Freistaat ermöglicht werden, indem z. B. Außenstellen der Universitäten in Westsachsen und Ostsachsen eingerichtet werden. Auch Eignungsgespräche im Zuge des Zulassungsverfahrens sind ein weiteres wirksames Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Ebenfalls vorstellbar ist eine Initiative ähnlich der im Koalitionsvertrag verankerten Sächsischen Landarztquote. Demnach werden vorrangig die Bewerber für einen Lehramtsstudiumsplatz berücksichtigt, die sich verpflichten, nach Abschluss der Ausbildung für zehn Jahre an einer Schule im ländlichen Raum tätig zu sein.
Wenn der in Sachsen ausgebildete Lehrernachwuchs nicht in ausreichender Zahl in bestimmten Regionen unterrichten möchte, müssen Seiteneinsteiger eingestellt werden. Seit dem Schuljahr 2014/2015 ist der Freistaat auf Seiteneinsteiger angewiesen, doch auch ihre Zahl ist begrenzt und rückläufig. Hinzu kommt, dass immer mehr von ihnen ohne entsprechende Lehrbefähigung an den sächsischen Schulen unterrichten. Deshalb fordert der SLV, dass – neben der dreimonatigen Einstiegsqualifizierung – auch die wissenschaftliche Ausbildung an der Universität und der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst unmittelbar und verpflichtend nach Einstellung in den Schuldienst absolviert werden muss. Dafür ist sicherzustellen, dass ausreichende Ausbildungskapazitäten für Seiteneinsteiger zur Verfügung stehen.
Entlastungen
Kurzfristige Abhilfe für personelle Engpässe an den Schulen stellen Assistenzkräfte dar. Der SLV und Frau Melcher sind sich einig, dass Assistenzsysteme im Schulbereich in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden. Deshalb ist es wichtig, dass der Ausbau und die Finanzierung sichergestellt sind. Angesichts des Fachkräfte- und Auszubildendenmangels in vielen wirtschaftlichen Bereichen ist die Weiterführung des Projektes „Praxisberaterinnen und Praxisberater an Oberschulen“ zwingend notwendig, da die Praxisberater eine wichtige Unterstützung an den Schulen und für die Schüler im Bereich der beruflichen Orientierung darstellen.
An Stelle von Entlastungsmaßnahmen werden Lehrerinnen und Lehrer mit ständig wachsenden Herausforderungen konfrontiert. Dabei haben sie das Gefühl, dass die Staatsregierung als ihr Arbeitgeber nicht mehr bereit ist, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und sie vor dieser Belastungssituation zu schützen. Stattdessen wird bereits zugesprochenen Arbeitserleichterungen und wertschätzenden Maßnahmen mit der Begründung des Lehrermangels eine Absage erteilt. Dass nun die verbale Einschätzung auf Zeugnissen wieder vorgenommen werden muss und die im Koalitionsvertrag verankerte Gewährung einer Klassenleiterstunde auf unbestimmte Zeit verschoben ist, ist aus Sicht des SLV nicht akzeptabel.
Am Ende des Gesprächs waren sich beide Seiten einig: Bildung darf nicht in Legislaturperioden gedacht werden. Wenn in der Politik nicht endlich ein Sinneswandel stattfindet, wird man auch noch in zehn Jahren über Lehrkräftemangel sprechen und das stellt eine massive Bedrohung für die Bildungsqualität künftiger Generationen dar.