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Abwertung der Kompetenz von Lehrkräften

Am 21. Februar 2019 berichtete die Freie Presse (Vogtland) über die jüngste Versammlung des Kreiselternrates Vogtlandkreis (→„Schleichendes Aus für Förderschulen?“). Dort ging es u. a. um den Volksantrag des Bündnisses „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ (siehe auch NSLZ 06/2018). Wieder einmal wurde behauptet, die Bildungsempfehlung käme für viele Kinder viel zu früh, Grundschulkinder müssten vor dem Leistungsdruck bewahrt werden und stabile Klassenverbände von der Einschulung bis zum Schulabschluss seien der notwendige Wattebausch auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Die Forderung nach einer Gemeinschaftsschule, in der Kinder „ohne Brüche“, ohne jegliche Schulwechsel von Klasse 1 bis 10 oder sogar 12 laufen können, ist nicht zeitgemäß und entspricht auch nicht den Anforderungen an eine moderne, schnelllebige Gesellschaft. Menschen sind heutzutage viel flexibler und mobiler, was die berufliche Situation – Ausbildung, Studium, Arbeitsplatz – aber auch, was die persönliche angeht. Häufige Wohnortwechsel oder sich ständig ändernde Familienverhältnisse sind keine Seltenheit mehr. Sicherlich argumentieren die Befürworter der Gemeinschaftsschule an dieser Stelle damit, dass man Kindern dann zumindest Stabilität und Beständigkeit bei der Schulform bieten sollte. Es gilt aber genauso, ihnen frühzeitig beizubringen, wie sie sich schnell und sicher auf veränderte Lebensumstände einstellen können. In der Zeit bis zur Volljährigkeit können wir sie dabei begleiten, ihnen Schutz und Selbstsicherheit geben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, sie von Veränderungen in ihrer Umwelt abzuschirmen. Schule ist kein Kokon, der Kinder vor der Außenwelt beschützen muss.
Genauso wenig sollte der Bildungsauftrag von Schule in den Hintergrund rücken. Jede Schulart in Sachsen leistet bereits jetzt einen hohen Beitrag, was das soziale Miteinander, das soziale Lernen angeht – und das zielgerichtet und der Schülerklientel angepasst, die dort jeweils unterrichtet wird.

Sächsische Lehrkräfte sind längst imstande, individuell auf ihre Schüler einzugehen

Besonders auffällig im genannten Artikel der Freien Presse: Ein Vater wird mit den Worten zitiert „dass kein Pädagoge am Ende der Grundschulzeit beurteilen könne und sollte, wohin die Reise für den jeweiligen Schüler noch gehen könnte.“ Diese Aussage steht stellvertretend für so viele ähnliche, die im Kern vor allem eines zeigen: die Missachtung der professionellen Kompetenz und Autorität der Grundschullehrerinnen und -lehrer.
Haben sie denn nicht genau dafür eine wissenschaftliche pädagogische Ausbildung durchlaufen? Hier wird überdeutlich: Den Grundschullehrkräften muss unbedingt der Rücken gestärkt werden! Das Schulgesetz sieht vor, dass diese Beurteilung vorgenommen werden kann und sollte.
Die sächsischen Grundschullehrkräfte haben diese Kompetenz. Und dennoch ist dies eine der viel erwähnten Arbeitsbelastungen an sächsischen Schulen: Dass Lehrkräfte nicht nur in mühevoller, wohl abgewogener Arbeit die Bildungsempfehlungen ihrer Schützlinge erstellen – sondern dass immer häufiger ihre Entscheidungsfindung angezweifelt wird. Was auf professionellen Maximen basiert, sich oft in vielen Arbeitsjahren bewährt hat, wird plötzlich hinterfragt oder sogar vor Gericht getragen. Die Unterstellung, nur die Eltern wollten das Beste für ihr Kind – nicht aber die Grundschullehrerin – schwingt dabei immer mit.

Die Öffentlichkeitsarbeit, die die laufende Unterschriftenaktion für die Einführung von Gemeinschaftsschulen begleitet, fördert diese Klischees auch noch tatkräftigt. Da wird suggeriert, Lebenswege würden unwiederbringlich „zementiert“, Kinder würden „aussortiert“ und vor allem auch: die „soziale Spaltung“ würde verschärft.
Nun gab es jüngst einen Artikel in der FAZ (8. Februar 2019 „→Empfehlungen zum Schulwechsel – Was haben Eltern da mitzureden?“), in dem von einer Studie von zwei deutschen Soziologen berichtet wird. Diese meinen: Die soziale Spaltung wird vor allem durch Eltern zementiert, die sich nicht an Bildungsempfehlungen halten. Wer hätte es gedacht? Die Akademikerfamilie schickt ihre Kinder eher aufs Gymnasium, Arbeitereltern ziehen Oberschulen vor. Beide ignorieren dabei nur allzu gern die Empfehlung der Schule. Korrigiert werden könnte dies durch eine stärkere Verbindlichkeit von Bildungsempfehlungen. Durch ein größeres Vertrauen in die Kompetenzen von Lehrkräften.
Ein Satz im FAZ-Artikel, der hängen bleibt: „Lehrer sind Fachleute, Eltern nicht.“
Nehmen Sie den Satz mit: in jedes Elterngespräch, in jedes abschätzige Gespräch über den Lehrerberuf, in jede Diskussion um Gemeinschaftsschulen.

Weiterführende Informationen:

Antwort auf den Artikel von Marin Dulig in der Sächsischen Zeitung vom 26.02.2019
Der SLV fordert: Schulstrukturen erhalten, Oberschulen stärken
Lerntempo wird langsamer (SZ-Beitrag vom 19.12.2018)
Warum sich der SLV gegen einschneidende Schulstrukturreformen positioniert
Für ein leistungsgerechtes Schulsystem – zehn Thesen zum Volksantrag „Gemeinschaftsschulen in Sachsen“ (PDF)
Artikel zur Bundesinitiative Differenziertes Schulwesen in GiB 11/12-2018 (PDF)