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Das sächsische Schulsystem braucht Lehrer, keine Schulstrukturdebatte!

Bild: Freepik.com / pressfoto

Maßnahmen gegen den anhaltenden Lehrermangel sind die größte Herausforderung für künftige Bildungsqualität im Freistaat Sachsen. Viel wichtiger als strukturelle Experimente am sächsischen Schulsystem sind deshalb Investitionen in die Unterrichtsqualität und eine ausreichende Lehrerversorgung.

Das geht auch aus den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends 2018 hervor. Prof. Petra Stanat, Direktorin des IQB, begründet das konstant sehr gute Abschneiden des Freistaates im bundesweiten Ländervergleich mit den stabilen, verlässlichen Schulstrukturen. „Schulstrukturelle Veränderungen sind immer mit erheblichem Aufwand verbunden und können Ressourcen binden, die dann nicht mehr für die Weiterentwicklung von Unterrichtsqualität zur Verfügung stehen“, erklärt Stanat in einem →aktuellen Interview.

Der Sächsische Lehrerverband warnt deshalb wiederholt vor Schulstrukturexperimenten. Der Freistaat braucht keine zusätzliche Schulart wie die Gemeinschaftsschule, weil sie nichts bietet, was eine Oberschule nicht leisten kann oder könnte.

Seit Jahrzehnten gibt es in vielen Bundesländern politische Auseinandersetzungen um Gemeinschaftsschulen und Strukturreformen mit ernüchternden Ergebnissen. Mit dem Volksantrag zur Einführung von Gemeinschaftsschulen hat die Schulstrukturdebatte ausgerechnet Sachsen erreicht, dessen nachweislich erfolgreiches Schulsystem sich andere Bundesländer mittlerweile zum Vorbild genommen haben. Prof. Petra Stanat rät dazu, den Fokus auf die Sicherung der Unterrichtsqualität zu legen: „[Die Tendenz geht] deutschlandweit eher dahin, die Anzahl der Schularten zu reduzieren und Zweigliedrigkeit einzuführen, die in Sachsen ja bereits existiert. Mir persönlich ist nicht klar, warum man den Aufwand betreiben will, eine weitere Schulart einzuführen, zumal in einer Zeit, in der aufgrund des Lehrkräftemangels in Sachsen erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sein werden.“

„Bei einer Analyse des Ergebnisses zur Landtagswahl gibt es keinen Wählerauftrag für Experimente am Schulsystem“, konstatiert Jens Weichelt, Landesvorsitzender des SLV. Die Parteien, die den Volksantrag zur Einführung von Gemeinschaftsschulen in Sachsen unterstützten, haben in der Summe Wählerstimmen verloren.

Der Volksantrag „Längeres gemeinsames Lernen in Sachsen“ ist der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Gemeinschaftsschule im Freistaat. Aber „länger gemeinsam“ ist eben ein sehr positiv besetzter Begriff, mit dem sich gut werben lässt. „Selbst wenn der Volksantrag unverändert durch den Landtag beschlossen würde – die Schüler werden keineswegs länger gemeinsam lernen, weil bei entsprechender Bildungsempfehlung weiterhin das Gymnasium ab Klasse 5 favorisiert wird. Hier haben die Initiatoren des Volksantrages die Bürger getäuscht!“, sagt Jens Weichelt.

Gemeinschaftsschulen gefährden andere Schulstandorte

Der Volksantrag bedient mehrere Vorstellungen von Gemeinschaftsschule und lässt dabei außer Acht, dass eine zusätzliche Schulart andere Schulstandorte gefährdet. Bezüglich Mindestschülerzahlen und -zügigkeiten werden die gleichen Anforderungen wie bei Oberschulen vorgesehen. Das deutet darauf hin, dass die Befürworter anstreben, Gemeinschaftsschulen perspektivisch an die Stelle der Oberschulen treten zu lassen. Diese Entwicklung lässt sich auch in anderen Bundesländern beobachten. Wenn Gemeinschaftsschulen tatsächlich auch zum Abitur auf gewohntem Niveau führen sollen („längeres gemeinsames Lernen“), wäre sogar eine vier- bis fünfzügige Schule notwendig. Generell ist davon auszugehen, dass nur große Schulgebäude für staatliche Gemeinschaftsschulen in Frage kommen. Infolge der Einrichtung einer zusätzlichen Schule in einer Region gibt es aber keine zusätzlichen Schüler. Demzufolge wird es an den bestehenden Oberschulen und Grundschulen weniger Schüler geben, denn nur so könnte die Mindestanzahl von 40 Schülern in jedem Schuljahr an der Gemeinschaftsschule erreicht werden. Außerhalb der kreisfreien Städte, wo es keinen eklatanten Anstieg der Schülerzahlen gibt, ist daher eine erneute Bedrohung von etablierten Schulstandorten zu befürchten. Die Erhaltung des Schulnetzes, gerade im ländlichen Raum, ist aber für die Entwicklung dieser Städte und Gemeinden essentiell.

Jens Weichelt, Landesvorsitzender des SLV, formulierte bereits vor Beginn der Koalitionsgespräche Erwartungen an die neue Staatsregierung: „Unser Schulsystem darf keine Experimentierwiese für Parteiinteressen sein. Schulstandorte dürfen nicht gefährdet werden!“

Als Aufgaben für die Politik sieht der Sächsische Lehrerverband die Verstetigung der Verbeamtung von Lehrkräften nach 2023 sowie wertschätzende Maßnahmen, wie die Einführung einer Klassenleiterstunde und den Ausgleich für Härtefälle in Folge von Höhergruppierungsverlusten.