Ich arbeite am Leipzig-Kolleg, einer Bildungseinrichtung, in der man auf dem zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erwerben kann. Einerseits war unsere Schülerschaft schon immer speziell, andererseits stellen die globalen Veränderungen, diverse Krisen, technische Entwicklungen, verändertes Leistungs- und Lernvermögen und vieles mehr andere Anforderungen an den Bildungssektor. Seit 2015 hat sich außerdem der Migrantenanteil gerade an unserer Schule erheblich erhöht. Die Heterogenität der Klassen stellt das Kollegium vor große Herausforderungen und mit den üblichen Lehr- und Lernmethoden erreichen wir nicht mehr die Mehrheit der Schülerschaft.
Anders Lernen
Eine Gruppe von sechs engagierten Lehrkräften hat in diesem Schuljahr den „Better-Future-Day“ als zweijähriges Pilotprojekt in den Vorkursen unserer Schule (entspricht Lehrplan der Klassen 9) eingeführt. Wir lehnen uns dabei u. a. an das Modell des FreiDays an, mussten aber ein eigenes Konzept passend auf unsere Bedürfnisse entwickeln. Seit Ende Februar 2023 bekommen die Schüler pro Woche vier Unterrichtseinheiten im Rahmen des GRW-, Ethik- und DaZ-Unterrichts zur Verfügung, um selbstständig an von ihnen initiierten Projekten zu den 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) zu arbeiten. Das ist nicht nur für die Schüler eine Herausforderung, sondern auch für die Lehrkräfte, denn wir nehmen eine ganz andere Rolle (als begleitender Mentor) ein. Die Schüler bestimmen ihre Ziele und ihr Vorgehen selbst, um am Ende ein Projekt vor Ort umzusetzen. Bei der Arbeit setzen sie sich neben den inhaltlichen Themen auch mit Projektmanagement, Design Thinking, Recherche- und Präsentationstechniken, förmlicher Kommunikation mit Behörden etc., dem Aufbau von Netzwerken, der Zusammenarbeit mit externen Partnern und der Arbeit im Team auseinander.
Das Themenspektrum, die Umsetzungsideen und die externen Partner sind vielfältig. So gibt es eine Gruppe, die sich zusammen mit der Bahnhofsmission in der Obdachlosenhilfe engagiert, eine andere Gruppe erarbeitet in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale und Banken einen Workshop für Schüler zum Umgang mit Finanzen, andere Schüler entwickeln ein Konzept zur Mülltrennung an der Schule, eine weitere Gruppe arbeitet mit einem Kindergarten und einem Trainer zum Thema Mobbing, wiederum andere unterstützen die Arbeit in einem Jugendclub oder Schulen in Venezuela mit Schulmaterialien.
Erlernung von Zukunftskompetenzen
Bei der Teamarbeit müssen Teamrollen ausgefüllt, Konflikte innerhalb des Teams gelöst, eine Feedback-Kultur entwickelt und der Umgang mit Rückschlägen und Fehlern sowie Misserfolg erlernt werden. Die Schüler erleben ihre Selbstwirksamkeit, entwickeln Problembewusstsein und Problemlösungsstrategien sowie Zuversicht und Hoffnung für ihre Zukunft. Außerdem soll eine stärkere Bereitschaft zum zivilgesellschaftlichen Engagement über das Schulleben hinaus gefördert werden. Sie lernen ebenfalls, verschiedene Perspektiven einzunehmen und durch die Bereitschaft für Veränderung und Innovation, die eigene Umwelt zu verändern. Außerdem kann jeder seine Talente und Potenziale einbringen und die Schwächen werden in der Gruppe ausgeglichen. Gerade für Schüler mit Migrationshintergrund oder einem Handicap kann es eine Chance sein, sich hier individuell einzubringen, denn jeder hat irgendein Talent oder eine Fähigkeit. Der schulische Kontext bzw. Alltag gibt es aber nicht immer her, diese wirkungsvoll einzusetzen.
Am Ende des Schuljahres werden die Projektergebnisse und der Arbeitsprozess sowie das Projekttagebuch vorgestellt und reflektiert. Wir sind gespannt!
Danach beginnt für unser Organisationsteam erneut die Arbeit, denn eine detaillierte Evaluation ist zwingend notwendig, um unsere eigene Planung, die Umsetzung sowie Aufwand und Nutzen für beide Seiten zu optimieren. Dabei wird uns auch das Feedback der Projektgruppen helfen.
Außerdem gibt es schon unzählige Angebote von verschiedenen NGOs, Vereinen und BNE-Servicestellen, bei denen wir uns noch mehr Unterstützung holen wollen. Wer Interesse hat, schaut einfach einmal unter „BNE Sachsen“ im Internet und wird fündig.
Wie bei allem, was neu angefangen wird, gibt es Startschwierigkeiten, Skeptiker, unterschiedliche Ausgangssituationen und so manche Widrigkeit auf dem Weg zum Ziel, von denen man sich nicht entmutigen lassen sollte.
Es läuft noch nicht alles rund, aber wir sind auf einem guten Weg, frei nach Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Text: Annett Wenzel (Lehrerbezirkspersonalrat Leipzig)